Altriper Wörterbuch - Rezension: Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik

LXVIII. Jahrgang, Heft 1 (2001), Rezensent: Dr. Roland Mulch

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Südlich der Industriestädte Mannheim - Ludwigshafen befindet sich das in sprachgeo- graphischer Hinsicht interessante Dorf Altrip. Nördlich des Altrheinarmes wie auf einer Halbinsel gelegen, bewahrt das einstige Fischerdorf ältere Sprachelemente lautlicher und lexikalischer Art in bedeutender Anzahl. Die lokale Dialektvariante gehört sprachgeo- graphisch zum Ost- bzw. Vorderpfälzischen. Die außergewöhnliche Stellung der Altriper Mundart resultiert vor allem aus vier Besonderheiten: 1. der sog. "d-Lambdazismus" (Schäälem ,Schatten´, reele ,reden(sieben)´, Flällawisch ,Flederwisch´, Jillin ,Jüdin´; 2. altes -ei- erscheint als -åå-: Lååle m. ,Leiden´, schmååjschle ,schmeicheln´, sååjsche ,seichen´; 3. Diphtongierung von (langem) o und e zu ou und äj/ej: koulere ,kodern´, bejs ,böse´, Schnäj ,Schnee´. Hierher paßt der Kernsatz für Altrip: Gäj Koule houle! 4. Plural der Diminutivformen: Häärlin, Schielin ,Schuhe´.
Diese sprachlichen Eigenheiten des Altriper Dialekts finden ihre Entsprechung in den Mundarten auf der rechten, kurpfälzischen Rheinseite. Dass hier ein großer Fluß keine sprachliche Barriere bedeutet und die Altriper Dialektvariante innerhalb des linksrheinischen ostpfälzischen Gebietes eine Sonderstellung bewahrt hat, betont RUDOLF POST in seiner wissenschaftlichen Einleitung des vorliegenden Mundartwörterbuchs.
Es ist das Anliegen der Autorin, den individuellen Charakter der Altriper Ortsmundart in Form eines Wörterbuches zu dokumentieren. ELKE KNÖPPLER, studierte Germanistin, möchte den ältesten noch fassbaren Stand dieses rheinfränkischen Dialekts aufzeichenen, wie er heute nur noch von über 70-jährigen Bewohnern ihres Heimatortes gesprochen wird. Die Verfn. lädt uns ein zu einer Reise in die sprachliche Realität des 20. Jhs. Die von der alten eingesessenen Bevölkerung in allen Lebensbereichen gesprochene Mundart legt Zeugnis ab über die sozialen Unterschiede und das gesellschaftliche Miteinander der Menschen in diesem Fischerdorf am Rhein. Das Alltagsleben seiner Bewohner, Arbeit und Feste, Essen und Trinken, Brauchtum und Religon, lässt sich im Dialektwortschatz dieses Buches hervorragend erkennen. Dieser Band stellt ein Abbild der Lebens- und Alltagsgewohnheiten der Mundartsprecher früherer Zeiten dar. Der Altriper Mundartwortschatz wurde innerhalb eines Jahres 1996/1997 gesammelt, indem die Autorin etwa 1500 Lemmata des großlandschaftlichen ,Pfälzischen Wörterbuches´ von mindestens in dritter Generation ansässigen Altripern in die ortsübliche Dialektvariante "übersetzen" ließ. Das Wörterverzeichnis von Abrillebutze bis Zwiwwelkuche dokumentiert das Ergebnis dieser in Kleingruppen durchgeführten Übertragung. Dieses mundartliche Lokalwörterbuch ist nicht wie ein Lexikon von A bis Z gegliedert, sondern ordnet den Wortschatz nach Sachgebieten an. Die dargestellten Lebens- und Arbeitsbereiche umfassen die natürlichen Gegebenheiten in diesem Altrheinstück und zeigen die ökonomischen und sozialen Zustände im Dorfleben der ersten Hälfte des vorigen Jhs. Insbesondere wird die ältere Terminologie der Berufsfischer berücksichtigt. Durch die Andordnung der Lemmata nach Sachgruppen erscheinen einzelne polysemantische Stichwörter an unterschiedlichen Stellen, z.B. zee: Die Wäsch is noch gånz zee! (feucht) (S.93) im Kapitel ,Kleidung´ und der Beispielsatz Des Schnitzel is sou zee wie Juchde-lälla (von ledernartiger Beschaffenheit, von Fleisch) (S. 102) im Abschnitt ,Essen und Trinken´.
Die Verfn. notiert die Mundartwörter in einer die lautlichen Besonderheiten abbildenden Laienschreibung. Ihre Intention zielt vor allem auf die flüssige Lesbarkeit der registrierten Wörter. Die Einzelwörter stehen aber nicht isoliert da, vielmehr bietet fast jeder Wörterbuchartikel nach der Worterklärung einen Beispielsatz oder eine redensartliche Wendung. Infolge des Lemmaansatzes in Laienschreibweise können verschiedene Wörter als Homonyme in einem Artikel auftauchen, beispielsweise reiteln ,den Wagen mit Knüppel und Kette spannen´ und radeln ,Fahrrad fahren´ unter råådle. Eine Trennung der lexikalischen Mehrdeutigkeit in unterschiedliche Wörter wäre sinnvoll gewesen. Das Altriper Wörterbuch besticht durch die onomasiologische Vernetzung des Wortmaterials. In vielen Artikeln verweisen die Pfeile auf Synonyme oder Antonyme innerhalb der Lemmaliste, beispielsweise pitsche ,Alkohol trinken´ -> duudle -> loddle -> lebbare ->schlutzare -> ååna häjwe usw. oder Sagg-uur ,Taschenuhr´ ->Dasche-uur ->Klabb-uur.
Der im Anhang beigefügte ,Index´ erschließt den gesamten Wörterbuchteil von A (a búschur) bis Z (zwiwwle). Die angegebenen Seitenzahlen verweisen zum einen auf den eigentlichen Wörterbuchartikel, zum anderen aber auch auf Verweise. Eine Hervorhebung der Ersteren (durch Fett- oder Kursivdruck) könnte das Auffinden einzelner Lemmata wesentlich erleichtern. Bei den Stichwörtern Abrille-butze, Gewidda-butze, Fasse-butze und Butze ,Nasenpopel´ bzw. ,Überrest eines gegessenen Apfels´ wird in der etymologischen Erklärung jeweils auf mhd. butze ,klopfender Kobold, Schreckgestalt´ bzw. ,abgeschnittenes Stück, Masse, Klumpen´ hingewiesen. Platz- sparender wäre der Verweis auf das Grundwort mit etymologischen Angaben gewesen.
Der relikthafte Charakter der Mundart von Altrip wird auch auf dialektlexikographischem Gebiet sichtbar. So enthält die Wörterliste eine Reihe alter Ausdrücke, die in der Hochsprache längst verschwunden sind, etwa Lefzd ,unschönes Gesicht´, Hurras m. ,wildes Mädchen, Wildfang´, gaddisch ,gut aussehend; genau passend´, schdråndle ,im Zweifel sein´, Uumuus ,Aufwand um nichts´, welsch ,fremd´, Bånggad ,uneheliches Kind´, Nee ,Fähre´, Schdreel ,Kamm´, Schwåålem ,der beim Kochen entstehende Dampf in der Küche´, schwiwware, Pt. g´schwiwward ,randvoll´, Achle Pl. ,Ährenstachel, Spreu´, duschba ,dämmrig´, Adsel ,Elster´, dääwle ,mit der Pfote nach jm./etw. schlagen´, Douwe ,Fuß des Hundes, schmutzige Schuhe´, Håmme ,Handnetz´, Niaschd ,lange, gewölbte Holzschaufel, um Wasser aus dem Nachen zu schaufeln´, Gumb ,Wetzsteinbehlter´, Låjngsel ,äußere Stütze der Wagenleitern´, Mååde ,Streifen Heu´, Oomed ,Grasschnitt´, Schdrou-bouse ,ausgedroschene Garbe´, woormeensisch ,wurmig von Obst´, Bedd-schbråå ,gehäkelte Tagesdecke´, Kuld ,Wolldecke´, Lååle ,Überdruss´.
Der Dialekt aus Altrip ist auch offen für Einflüsse von außerhalb, beispielsweise begegnen uns Lehnwörter aus dem Französischen: Wisaasch ,Gesicht´, Kommärsche Pl. ,1. eifrige, freundschaftliche Beziehungen. 2. Aufhebens, Theater um nichts´, Lameng ,Hand´, Regadd ,Angst oder Respekt´, Schagrille Pl. ,Gedanken, Sorgen (wohl Kontamination frz. chagrin ,Kummer, Leid´, + Grillen ,Launen´), dussmåå(n) ,sachte; kleinlaut´, Rååsch ,Zorn´, Bolies m. ,Schutzmann am Ort´, Kaschoo ,Gefängnis´, Remies ,Kammer, Abstellraum´, Schesslåå(n) ,Sofa ohne Rückenlehne´, Pååsee ,Stiefmütterchen´, Boddschåmba ,Nachttopf´, Plimoo ,(großes) Kopfkissen im Bett´, Bisgewidd ,Biskuitboden, Biskuitkuchen´, Fudarååsch ,Essen, Nahrung´;
aus dem Jiddischen: kaboores ,kaputt´, Massel ,Glück´, schoofel ,unfair´, dieware ,nervtötendes Anhalten, etwas zu tun´, Itzisch ,Jude´, Zores ,Streit, Lärm´, Kaff ,kleines Dorf´, Raiwach ,Gewinn´.-
Es finden sich auch Wörter aus der Kinder- und Ammensprache, etwa Hi-gaul ,Pferd´, Hutsch ,Pferd´, Haja f. Haja-bedd ,Bett´. -
Scherzhafte Wortschöpfungen zeigen den Phantasiereichtum des dargestellten Dialektes in den Redensarten Der kummd vun Kunschdasblumm ,von sehr weit her´, bzw. Des is vun Krischdiemaschelie ,es ist sehr alt´. - Ein eigenes Kapitel ist den Flurnamen der Altriper Gemarkung gewidmet. Zum Schluss seien noch die zeitgenössischen Photographien hervorgehoben, die den Alltag der kleinen und großen Altriper in anschaulicher Weise vermitteln.
Resümierend ist der Bearbeiterin des Altriper Wörterbuches für ihr hervorragende Arbeit nachdrücklich zu danken. Die Autorin versteht es, mit großer Sachkenntnis den mundartlichen Wortschatz ihres Heimatortes, wie er jahrhundertelang in mündlicher Überlieferung tradiert wurde, vor uns auszubreiten. Die Sammlung dialektaler Ausdrücke aus den ersten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts beeindruckt durch den Materialreichtum, die gediegene Sorgfalt der Bearbeitung und die wohltuende Ausgewogenheit der Worterklärungen. Die verdienstvolle Zusammenstellung des altertümlichen Altriper Mundartwortschatzes wird ihre selbst gesteckten Ziele erreichen. Dem illustrativ gestalteten, stattlichen Band Mer redd jo nix, mer sechd jo blous ist eine große Verbreitung und eine für die originelle Muttersprache aufgeschlossene Leserschaft zu wünschen.